„Die Forderung nach einem Unterricht in Österreichischer Gebärdensprache ist so alt wie die Gebärdensprache selbst“, meint Mag.a Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. „Der Streit darum, wie ein ÖGS-Lehrplan aussehen muss, um alle gehörlosen Kinder und deren Inklusion zu fördern, ebenso“.
Die Entwicklung eines ÖGS-Lehrplans begann 2017, damals als Maßnahme zur Inklusion und Förderung einer chancengleichen Bildung gedacht. Nach jahrelangem Stillstand wurde der Entwurf infolge eines Nationalratsbeschlusses 2022 wieder aufgegriffen und „zum Gegenteil dessen ‚verschlimmbessert‘, was beabsichtigt war“, ärgert sich Jarmer. „Alle Kinder haben ein Recht auf ihre Sprache, nicht nur die, die den Stempel ‚Sonderpädagogischer Förderbedarf‘ auf der Stirn tragen!“
Im Juli 2023 hat die Generalversammlung der World Federation of the Deaf eine Erklärung über die Rechte gehörloser Kinder verabschiedet. Diese Erklärung enthält 10 Artikel, von denen sich allein 6 der Anerkennung nationaler Gebärdensprachen, dem Zugang zu Bildung in Gebärdensprache, der Chancengleichheit durch Gebärdensprachen u.s.w. widmen.
Wie also müsste ein Lehrplan aufgesetzt sein, im inklusionspädagogisch zu wirken, wie es der Nationale Aktionsplan Behinderung 2022-2030 vorsieht? „Er müsste allen Kindern zugänglich sein, nicht nur Sonderschüler:innen“, erklärt Jarmer, „sonst haben begabte gehörlose Kinder keine Chance auf eine vollumfängliche Bildung.“
Declaration on the Rights of Deaf Children – WFD (wfdeaf.org)
Deklaration über die Rechte gehörloser Kinder:
- Artikel 1: Alle gehörlosen Kinder sind wie alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
- Artikel 2: Alle gehörlosen Kinder haben das Recht auf eine Gebärdensprache. Die nationalen Gebärdensprachen sind die einzigen Sprachen, die gehörlosen Kinder von Geburt an uneingeschränkt zugänglich sind.
- Artikel 3: Das Recht gehörloser Kinder auf ihre nationalen Gebärdensprachen darf nicht eingeschränkt werden.
- Artikel 4: Allen Eltern, Bezugspersonen und Familienmitgliedern gehörloser Kinder muss kostenloser Unterricht in deren nationalen Gebärdensprachen gewährt werden.
- Artikel 5: Alle gehörlosen Kinder haben das Recht auf eine hochwertige, inklusive, mehrsprachige Bildung in ihren nationalen Gebärdensprachen und in den nationalen Schriftsprachen. [1]
- Artikel 6: Alle gehörlosen Kinder haben das Recht, die sprachliche Identität und Kultur der Gehörlosengemeinschaft zu erlernen. [2]
- Artikel 7: Alle gehörlosen Kinder haben das Recht auf Schutz vor sprachlicher Deprivation. Wenn nicht alle gehörlosen Kinder Zugang zu den nationalen Gebärdensprachen haben, stellt dies eine Diskriminierung dar. [3]
- Artikel 8: Alle gehörlosen Kinder haben ein Recht auf Vorbilder, die die nationale Gebärdensprache fließend beherrschen, einschließlich Lehrkräfte im Bildungswesen. [4]
- Artikel 9: Alle gehörlosen Kinder haben das Recht, ihre Meinung zu allen sie berührenden Angelegenheiten frei zu äußern. [5]
- Artikel 10: Alle oben genannten Erklärungen müssen sofort und ohne Verzögerung für alle gehörlosen Kinder umgesetzt werden. [4] [6]
[1] UN-BRK, Artikel 24 und International Disability Alliance “What an Inclusive, Equitable Quality Education Means to Us: Report of the International Disability Alliance” 2020, Anhang S.9 [2] UN-BRK, Artikel 30(4) [3] UN-BRK, Artikel 5(3) [4] UN-BRK, Artikel 24(4) [5] UN-BRK, Artikel 7(3) [6] in den Artikeln sind ebenfalls schwerhörige und taubblinde Kinder, hörende Kinder von gehörlosen Eltern (KODAs) sowie Migrationsfamilien und/oder binationale Familien mit Gebärdensprache(n) als Erstsprache(n) zu berücksichtigen
Im Video gebärdet ÖGLB-Präsidentin Helene Jarmer die 10 Artikel in ÖGS:
Die World Federation of the Deaf vertritt 70 Millionen gehörlose Menschen, deren Menschen- und Behindertenrechte sowie ihren Zugang zu mehr als 200 Gebärdensprachen.