Ein wesentliches Charakteristikum einer Kultur ist die Sprachen, die zumeist mit der ethnischen Herkunft begründet ist. Manche im Land „fremde“ Sprachen genießen besondere Rechte, weil sie von kulturellen Minderheiten gepflegt werden (Volksgruppen). Konsequent ignoriert werden jedoch nationale und regionale Gebärdensprachen, die in fast allen Ländern eine Tradition haben und seit mehr als hundert Jahren systematisch weiterentwickelt und gepflegt werden.
Aber ist jede Gemeinschaft, die eine eigene Sprache pflegt, auch eine eigene Kultur? „Selbstverständlich“, bestätigt Mag.a Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. „Jede Sprache prägt die geistige, intellektuelle und emotionale Welt ihrer Sprecherinnen und Sprecher. Jede Sprache reflektiert ein eigenes Weltbild, auch die Österreichische Gebärdensprache ÖGS.“
Gehörlose, schwerhörige und taubblinde Menschen sind in der Kommunikation vor allem auf die visuelle und taktile Wahrnehmung angewiesen, was einen signifikanten Unterschied zur Verwendung von Lautsprachen ausmacht. Gehörlose Österreicherinnen und Österreicher leben damit in zwei Kulturen – ihrer ÖGS-sprachlichen, aus der sie ihre (sprachliche) Identität beziehen, und der Kultur der deutschsprachigen Mehrheit, mit der sie sich arrangieren müssen.
„Eine zweisprachige Bildung ist von klein auf unverzichtbar,“ betont Jarmer gebetsmühlenartig, „weil eine fundierte Sprachentwicklung in ÖGS die Identifikation und Sozialisierung gehörloser und schwerhöriger Menschen maßgeblich fördert. In Verbindung mit dem Deutschunterricht kann so ein maximales Maß an Inklusion in der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht werden.“
Der Österreichische Gehörlosenbund fordert seit Jahrzehnten:
- Ausführungsgesetzgebung auf Bundes- und Landesebene zu Art. 8 (3) B-VG, die die Österreichischer Gebärdensprache ÖGS als Mutter- oder Erstsprache gehörloser Personen anerkennt;
- Zweisprachiger, bimodaler und bikultureller Unterricht ÖGS – Deutsch;
- Lehrpläne, Lehr- und Lernmaterialien für die ÖGS auf allen Schulstufen
Seit 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache als eigenständige Sprache in der Österreichische Bundesverfassung anerkannt. Die ÖGS und die damit verbundene Gehörlosenkultur sind dennoch bei weitem nicht so abgesichert wie die Sprachen anderer Minderheiten (Volksgruppen, als schützenswert anerkannt z.B. Kroatisch im Burgenland oder Slowenisch in Kärnten). Die verfassungsrechtliche Anerkennung der ÖGS hingegen ist gesetzlich kaum ausgestaltet, viele Bereiche sind bis heute ungeregelt.
Gehörlose und schwerhörige sowie taubblinde Menschen in Österreich haben daher keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und verlassen die Schule oft mit erheblichen Bildungslücken. Die wesentlichen Bereiche Frühförderung, Schule, berufliche Ausbildung, Hochschulen und Lebenslanges Lernen sind vom selben gravierenden Problem gekennzeichnet: Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) wird nicht ausreichend eingesetzt, gelehrt und politisch unterstützt.