Bildung ist ein Menschenrecht und damit ein verbrieftes Recht gehörloser und schwerhöriger Personen auf gleiche Bildungschancen. Aber was bedeutet „gleichberechtigter Zugang zu Bildung“ für gehörlose und schwerhörige Kinder? Worin liegen die Herausforderungen, welche Modelle gibt es und welche politischen Rahmenbedingungen braucht es zu ihrer Anwendung?
Sprache ist kulturelle Identität
Helene Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes ÖGLB und selbst gehörlos, ist überzeugt: „Die wenigsten Menschen wissen, dass Deutsch (und jede andere Lautsprache) für gehörlose Personen eine Fremdsprache ist. Ihre Muttersprache ist die Österreichische Gebärdensprache ÖGS – und sie funktioniert grundlegend anders als jede gesprochene Sprache: mit Gestik, Mimik, Fingeralphabet und Mundbewegungen.“
Sprache ist Ausdruck einer kulturellen Identität. Gehörlose Kinder wachsen in der Kultur der gehörlosen Minderheit auf, müssen sich aber in der Welt der hörenden Mehrheit zurechtfinden. „Damit sie sich ohne Einschränkungen frei entfalten und ein selbstbestimmtes Leben führen können, müssen wir ihnen in der Schule die Kompetenzen für beide Welten vermittelt“, sagt Jarmer.
Bimodale Bildung?
„Bimodal“ bezeichnet eine Praxis, die zwei getrennte, aber kohärente Konzepte verbindet – in unserem Fall Lautsprache und Gebärdensprache. Beide sind unerlässlich, um einen substanziellen Mehrwert zu schaffen. „Es gibt unterschiedliche Modelle zum bimodalen-bilingualen Unterricht“, erklärt Silvia Kramreiter von der Kirchlich Pädagogischen Hochschule Wien/Krems KPH. „In Österreich wird der bimodal-bilinguale Unterricht in Regelschulklassen inklusiv geführt: taube und hörende SchülerInnen lernen gemeinsam Gebärdensprache und Deutsch.“ Auf diese Weise erwerben auch hörende Kinder wertvolle Kompetenzen.
Dieses Modell wird seit 20 Jahren mit großem Erfolg durchgeführt und ist international anerkannt. Aber leider in einem viel zu kleinen Ausmaß angeboten: Es fehlt vor allem an qualifiziertem Lehrpersonal. Seit 2018 bietet die Kirchlich Pädagogische Hochschule deshalb einen Lehrgang für Inklusive Gebärdensprachpädagogik an. Heuer schließen die ersten LehrerInnen mit einem vertieften Wissen zu allgemeiner und inklusiver Gebärdensprachpädagogik, Deaf Studies, Deaf Didactics und einem ÖGS-Referenzrahmen B2.2 ab. „Uns wäre es zudem wichtig, Native Signers – gehörlose LehrerInnen – im Team zu haben, um die Herausbildung von kultureller Identität und zu unterstützen“, betont Kramreiter.
Ein langer Weg zur inklusiven barrierefreien Bildung
„Das Angebot an bimodalen-bilingualen inklusiven Klassen deckt längst nicht den Bedarf und unterliegt politischer Willkür“, stellt Helene Jarmer fest. Der Österreichische Gehörlosenbund bemüht sich seit Jahrzehnten um einen barrierefreien Zugang zu Bildung für gehörlose Menschen und richtet folgende Forderungen an die politischen EntscheidungsträgerInnen:
- Verankerung von ÖGS als Muttersprache gehörloser SchülerInnen im Lehrplan der Gehörlosenschulen.
- Inklusiver Unterricht zur bilingualen Sprachentwicklung in ÖGS und Deutsch als gleichberechtigte Sprachen an Volkschulen und für die Sekundarstufen I und II auf Basis entsprechender Lehrpläne und geeigneter Lehr- und Lernmaterialien.
- Schwerpunkt-Bundesschulzentren in jedem Bundesland mit besonderer Kompetenz in ÖGS, die mehrere Schulstandorte in jedem Bundesland „bedienen“ können.
- Angebot des Freigegenstands bzw. Maturaprüffachs ÖGS einschließlich Gehörlosenkultur an allen Schulen im Rahmen des Fremdsprachunterrichts durch kompetente LehrerInnen, vorzugsweise durch Native Signer.
- Österreichweite Fortbildungsangebote in ÖGS sowie anderen nationalen Gebärdensprachen für und Zulassungsprüfung über die ÖGS-Kompetenz (mindestens C1/GERS) von gehörlosen und hörenden LehrerInnen und AssistentInnen – wie in jedem anderen Unterrichtsfach auch.
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