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Internationaler Bildungskongress zur Gehörlosenbildung in Rom

 

Vom 7. bis 11. Juli 2025 fand in Rom der 24. Internationale Kongress zur Bildung von gehörlosen Menschen (ICED) statt. Damit kehrte die weltweit bedeutendste Konferenz zur Gehörlosenbildung nach 145 Jahren erstmals wieder nach Italien zurück – ein Ereignis von großer historischer und symbolischer Bedeutung.

Denn der letzte und bislang einzige ICED-Kongress in Italien war die berüchtigte Mailänder Konferenz von 1880. Diese ging als Wendepunkt mit verheerenden Folgen in die Geschichte ein: Damals wurde beschlossen, die Gebärdensprache aus dem Bildungssystem zu verbannen. Die Konsequenzen dieses Beschlusses waren dramatisch. Gehörlose Menschen wurden weltweit von qualitativ hochwertiger Bildung ausgeschlossen, ihre gesellschaftliche Teilhabe massiv eingeschränkt. Die Entscheidung markierte den Beginn einer Phase systematischer Unterdrückung der Gebärdensprache und der damit verbundenen kulturellen Identität.

Die Rückkehr des ICED nach Italien wurde daher nicht nur als wissenschaftliche Veranstaltung wahrgenommen, sondern auch als symbolischer Akt gesellschaftlicher Wiedergutmachung.

Unter dem Leitsatz „More than words“ – „Mehr als Worte“ – setzte der Kongress ein klares Signal: Es reicht nicht, über Inklusion und Teilhabe nur zu sprechen – sie müssen auch konkret umgesetzt werden. Gleichzeitig wurde betont, dass alle gehörlosen Menschen das Recht haben, sich in der Sprache ihrer Wahl auszudrücken, Zugang zu Bildung zu erhalten und aktiv an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen.

Die ICED 2025 bot eine Plattform für den internationalen Austausch: Expert:innen aus verschiedensten Disziplinen kamen in Rom zusammen, um über aktuelle Erkenntnisse und Herausforderungen in der Bildung gehörloser und schwerhöriger Menschen zu diskutieren. Ziel war es, Wissen zu teilen, Netzwerke zu knüpfen und neue Kooperationsmöglichkeiten für Wissenschaft und Praxis zu schaffen.

Der ÖGLB beim ICED 2025: Neue ÖGS-Lehrpläne im Fokus

Auch der Österreichische Gehörlosenbund war auf dem Kongress vertreten. Unsere Präsidentin Helene Jarmer stellte in ihrem Vortrag die neuen Lehrpläne zur Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) und den Lehrplanzusatz im Bereich Hören und Kommunikation vor.

Wie bereits auf unserer Website ausführlich dargestellt (HIER), markieren diese Lehrpläne einen bedeutenden Schritt in Richtung Inklusion: ÖGS wird erstmals bundesweit als Schulfach verankert, und gehörlose Schüler:innen erhalten die Möglichkeit, Prüfungen in ihrer Sprache abzulegen. Auch hörende Schüler:innen können ÖGS als Fremdsprache erlernen – ein wichtiger Beitrag zu gesellschaftlicher Bewusstseinsbildung und Barriereabbau.

Die Einführung der neuen Lehrpläne für Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) stellt einen bedeutenden ersten Schritt auf dem Weg zu echter Chancengleichheit und Inklusion gehörloser und schwerhöriger Menschen im österreichischen Bildungssystem dar. Diese Entwicklungen sind wichtige Meilensteine, die zeigen: Veränderung ist möglich. Doch sie markieren nicht das Ziel, sondern vielmehr den Beginn eines langfristigen und dringend notwendigen Prozesses.

Trotz aller Fortschritte birgt die derzeitige Umsetzung erhebliche Herausforderungen. So ist der Zugang zu ÖGS-Unterricht in der 1. bis 8. Schulstufe weiterhin an die Diagnose eines sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) gebunden. Diese Regelung stellt ein strukturelles Hindernis dar und reproduziert ableistische Denkmuster: ÖGS wird hier nicht als eigenständige Sprache, sondern als Maßnahme zur „Kompensation“ eines vermeintlichen Defizits verstanden.

Wir fordern stattdessen, dass ÖGS als vollwertige visuell-gestische Sprache bereits ab der Volksschule – und durchgängig bis zur 12. Schulstufe – für alle Kinder zugänglich ist. Ein durchgehender, aufbauender Sprachunterricht in ÖGS würde nicht nur die sprachliche Bildung gehörloser Schüler:innen sichern, sondern auch einen Beitrag zur Inklusion und interkulturellen Verständigung leisten.

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt betrifft die Machtverhältnisse in Entscheidungsprozessen: Noch immer sind es überwiegend hörende Fachkräfte, die darüber bestimmen, welche Unterstützung gehörlose Kinder erhalten. Diese Praxis ist Ausdruck von Ableismus. Solange gehörlose Menschen nicht selbst über ihre Bildungssprache und Unterrichtsform mitentscheiden können, besteht die reale Gefahr, dass ihre Perspektiven, Erfahrungen und Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden.

Genau deshalb ist der Ansatz „Deaf Lead“ von zentraler Bedeutung: Die Einbindung und Führung durch gehörlose Menschen in allen bildungspolitischen Prozessen ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass Bildungsangebote tatsächlich inklusiv, bedarfsgerecht und diskriminierungsfrei gestaltet werden.

Die aktuellen Lehrpläne sind ein wichtiger Anfang – aber sie genügen nicht. Nur wenn gehörlose Menschen nicht nur mitgemeint, sondern mitgestaltend sind, kann Bildung wirklich barrierefrei und gerecht sein.

Gemeinsame Erklärung des WFD, der EUD und der ENS auf dem ICED-Kongress in Rom

Anlässlich der ICED 2025 haben der Weltverband der Gehörlosen (WFD), die Europäische Union der Gehörlosen (EUD) und der Nationale Gehörlosenverband Italiens (ENS) eine gemeinsame Abschlusserklärung veröffentlicht.

145 Jahre nach dem Kongress von 1880 in Mailand betonen die Verbände klar: Die damaligen Entscheidungen waren falsch. Damals wurde beschlossen, dass Gebärdensprache in Schulen nicht mehr erlaubt ist. Die Verbände sagen: Das war ein großer Fehler und hat die Rechte gehörloser Menschen verletzt. Dieser Beschluss hat gehörlosen Menschen auf der ganzen Welt viel Schaden zugefügt – über viele Generationen hinweg. Besonders schlimm war, dass viele gehörlose Kinder keine Sprache lernen durften. Dadurch konnten sie sich nicht gut entwickeln, hatten schlechte Bildungschancen und wurden oft vom Leben in der Gesellschaft ausgeschlossen.

Die Verbände machten in ihrer gemeinsamen Erklärung deutlich: Gebärdensprachen sind vollwertige, natürliche Sprachen. Ihre Unterdrückung ist nicht nur sprachlich falsch, sondern auch eine Verletzung der Menschenrechte. Gehörlose Kinder haben ab Geburt das Recht auf Zugang zur Gebärdensprache – als zentrales Mittel für Kommunikation, Bildung und Teilhabe.

Sie forderten eine hochwertige, mehrsprachige Bildung, in der gehörlose Kinder, ihre Familien und Fachkräfte gemeinsam wirken. Nationale Gebärdensprachen sollen nicht nur in der Deaf Community, sondern in der ganzen Gesellschaft als kulturelles Erbe vermittelt werden.

Konkret verlangten die Organisationen:
– Gesetzliche Anerkennung aller Gebärdensprachen weltweit,
– frühzeitigen und barrierefreien Zugang zur Gebärdensprache ab Geburt,
– inklusiven Unterricht in und über Gebärdensprache,
– kostenlosen Gebärdensprachunterricht für Familien,
– und eine aktive Einbindung gehörloser Menschen in alle bildungspolitischen Entscheidungen.

Abschließend riefen sie Regierungen und Institutionen dazu auf, rasch zu handeln – um die weltweite Krise der Sprachdeprivation zu beenden und die volle Inklusion gehörloser Menschen endlich zu verwirklichen.

Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdenSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden:

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