Die ORF-Initiative „Mach dich sichtbar“ war ein inklusives Casting-Projekt, mit dem Menschen mit Behinderungen gezielt für Werbung, Film und Fernsehen gesucht werden sollten – um ihre Talente zu zeigen und Inklusion sichtbar zu machen. Eine Jury wählte aus 25 Teilnehmer:innen 7 Personen aus, die in eine ORF-Datenbank aufgenommen wurden für Auftritte in Werbespots und ORF-Produktionen. Unter den 7 Finalist:innen waren auch 3 gehörlose Personen. Eine davon ist Anja Burghardt. Im Interview erzählt sie von ihrer beeindruckenden Geschichte und ihren Erfahrungen beim ORF-Casting.
Herzlichen Glückwunsch – Sie gehören zu den Besten des ORF-„Mach dich sichtbar!“-Castings! Möchten Sie uns kurz etwas über sich erzählen? Wer sind Sie – privat und beruflich?
Hallo! Ich bin Anja. Ich bin gehörlos. Meine große Leidenschaft ist die Gebärdensprach-Performance. Ich liebe es auf der Bühne zu stehen und eine Deaf-Performance zu zeigen. Das ist eine Herzensangelegenheit von mir.
Ich habe im Jahr 2016 damit begonnen. Damals bin ich beim Sommerfest von equalizent aufgetreten. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Ich habe das damals als Hobby gemacht und bin immer wieder aufgetreten. Viel Geld verdient habe ich mit diesen Auftritten nicht. Deswegen habe ich einen Hauptberuf, in dem ich Vollzeit arbeite, und mit dem ich Geld verdiene. Damit kann ich mir auch mein Hobby finanzieren.
Die Künstlerin Anja und die Privatperson Anja sind verschiedene Rollen. Das halte ich lieber getrennt, um kein Chaos zu verursachen. Aus diesem Grund habe ich mir einen Künstlernamen überlegt. Der Künstler-Gebärdenname sieht so aus.
Auf Instagram und auf Youtube seht ihr die Künstlerin Anja, die Gebärdensprach-Performances macht, und in der Öffentlichkeit steht.
Privat bleibe ich aber Anja, getrennt von der öffentlichen Rolle.
Was hat Sie motiviert, am „Mach dich sichtbar!“-Casting teilzunehmen?
Was hat mich motiviert beim “Mach dich Sichtbar”-Casting des ORF mitzumachen? Am Anfang habe ich zwar gesehen, dass es das Casting gibt, aber ich habe es ignoriert. Meine Freunde und meine Familie haben gemeint, dass ich mich bewerben soll. Ich war anfangs skeptisch und habe das abgelehnt, aber sie haben gesagt, dass ich eine tolle Gehörlosen-Performance zeigen kann. Damit hatten sie recht. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und habe meine Bewerbung und ein kurzes Video an den ORF geschickt. So hat das begonnen. Ich wollte damit zeigen, dass es gehörlose Künstler:innen gibt.
Der zweite Grund ist, dass ich hörenden Organisator:innen von Veranstaltungen zeigen wollte, dass man jedes Programm und jede Veranstaltung auch inklusiv gestalten kann. Dass gehörlose Menschen, schwerhörige Menschen und auch Menschen mit anderen Beeinträchtigungen dabei sein können. Was mich auch motiviert hat, ist, dass viele gehörlose Menschen im Kunstbereich arbeiten wollen, sei es als Schauspieler:innen, im Theater, als Künstler:innen oder mit Musik. Ich wollte zeigen, dass man es schaffen kann, wenn man sich traut.
Diese drei Dinge haben mich motiviert beim Casting mitzumachen.
Wie haben Sie das Casting erlebt? Womit, glauben Sie, konnten Sie das Publikum besonders überzeugen?
Die Teilnahme läuft so ab: Am Anfang bekommt man eine E-Mail, in der man erfährt, ob man dabei ist. Das ist eine Art Einladung. Ich habe diese E-Mail bekommen und wurde eingeladen. Ich durfte im Finale nochmal auftreten und meine Deaf-Performance zeigen. Das hat mich sehr gefreut.
Vorab wurde ich gefragt, was ich alles benötige, Dolmetscher:innen, etc. Darauf habe ich geantwortet, ja bitte, ich brauche Dolmetscher:innen, und habe gesagt, was sonst alles nötig ist. Das war gut organisiert.
Ich bin dann dorthin gekommen. Im Warteraum gab es einen Schminkbereich, einen Ess- und Trinkbereich, das war alles sehr angenehm. Ich habe andere Künstler:innen getroffen, auch zwei gehörlose Personen waren dabei. Mit ihnen habe ich mich gleich unterhalten, das war toll.
Dann ist die/der Dolmetscher:in gekommen, wir haben darüber geredet, worum es bei meinem Auftritt geht.
Anschließend ging es los. Ich musste auf die Bühne und meine Performance zeigen. Die Jury bestand aus sieben Personen. Die Jury-Mitglieder arbeiten selbst im Kunstbereich, zum Beispiel als Schauspieler:innen, am Theater oder in der Filmbranche.
Ich habe meine Performance gezeigt. Danach habe ich kurz erzählt, wer ich bin und was ich mache. Die Jury hat mir applaudiert. Die Jury-Mitglieder haben gesagt, dass ich einen starken Ausdruck habe und dass sie bei meinem Auftritt Gänsehaut bekommen haben. Das hat mich wirklich sehr gefreut, dass die Expert:innen mich loben und sagen, dass ich das gut gemacht habe.
Nach dem Finale bin ich nach Hause gefahren und habe auf die E-Mail gewartet. Ob ich gewonnen habe oder leider nicht.
Am nächsten Tag war ich in der Arbeit, um ca. 12 Uhr habe ich dann die E-Mail bekommen. Das ging echt schnell. Ich habe die E-Mail geöffnet: Ich habe das Finale gewonnen! Wow! Da habe ich vor Freude eine Gänsehaut bekommen. Mein Herz hat Freudensprünge gemacht. Das ist eine sehr schöne Erinnerung.
Durch Ihre Teilnahme stehen Ihnen nun mehr Möglichkeiten in Werbespots und Fernsehproduktionen offen. Was hat sich seit dem Casting in Ihrer beruflichen Ausrichtung oder Jobauswahl verändert?
Wie geht es jetzt weiter? Der ORF hat jetzt meine Daten, also meine Künstler:innen-Daten, gespeichert. Wenn Veranstaltungsorganisator:innen oder Filmfirmen wegen eines/einer gehörlosen Künstler:in anfragen, dann kann der ORF meine Daten an die jeweiligen Firmen weitergeben. Die Firmen können mich dann beauftragen. So läuft das ab.
Wie sieht es jetzt aus? Das Finale habe ich zwar gewonnen, aber ich dachte mir, dass sicher nicht so schnell ein Auftrag kommen würde. Da werde ich sicher lange warten müssen. Aber ich habe tatsächlich schnell einen Auftrag bekommen, und zwar vom ORF selbst. Der ORF hat mich gefragt, ob ich live im Fernsehen bei der “Licht ins Dunkel”-Gala am 24. Dezember auftreten möchte. Wow, das hat mich sehr gefreut und geehrt. Da kann mich ganz Österreich sehen! Das ist zwar eine große Herausforderung, aber ja, natürlich will ich das machen. Ich bin sehr erleichtert, dass das gut läuft. Da fällt mir ein Stein vom Herzen.
Ich habe dann im Jahr 2025 mehrere Anfragen bekommen. Manche konnte ich annehmen, manche musste ich leider absagen. Ich bin schließlich auch berufstätig und habe einen Vollzeitjob. Da kann ich mir nicht immer Urlaub oder die Zeit dafür nehmen.
Mal schauen, wie sich das in Zukunft entwickelt. Wenn die Auftragsanfragen immer mehr werden und ich damit gut verdienen kann, genauso gut wie in meinem Hauptjob, vielleicht reduziere ich dann die Stunden in meinem Job und nehme dafür mehr Aufträge an. Das wird sich dann zeigen.
Wie nehmen Sie die Repräsentation von gehörlosen und schwerhörigen Menschen in den Medien wahr? Was bedeutet Sichtbarkeit für Sie persönlich?
Ich habe das Gefühl, dass wir in den Medien kaum sichtbar sind. Ein bisschen Sichtbarkeit ist vorhanden, aber trotzdem ist das zu wenig. Da muss noch viel gemacht werden. Österreich hinkt diesbezüglich hinterher, da besteht noch viel Aufholbedarf.
Es gibt einige gehörlose Künstler:innen, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass den hörenden Organisator:innen von Veranstaltungen nicht bewusst ist, dass es sie gibt. Sie sind nicht genug sichtbar. Ich hoffe sehr, dass der ORF noch einmal so ein “Mach dich Sichtbar”-Casting macht und dass es in den Medien noch stärker beworben wird. Das hoffe ich. Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Also, an euch gehörlosen Leute – wenn ihr Interesse habt im Kunstbereich zu arbeiten – macht mit! Werdet aktiv, traut euch und zeigt auf Instagram oder Youtube was ihr könnt! Dann klappt es auch für euch!
Vernetzung und Austausch sind extrem wichtig. Wenn ich zum Beispiel einen Auftrag bekomme und den nicht schaffe, dann ist es klar, dass ich bewusst andere gehörlose Performer:innen frage. So kann die Künstler:innen-Gruppe weiter wachsen. Darum sei mutig! Du kannst das schaffen!
Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdenSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden: