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Unser Bildungskongress: Joseph Murray über Geschichte und Bildung

Wir stellen euch die Vortragenden des Bildungskongresses vor. Wir freuen uns ganz besonders auf Joseph Murray, den WFD-Präsidenten. Im Interview erzählt er uns von seinem geplanten Vortrag zu Geschichte und Bildung. Du bist neugierig geworden? Das ganze Programm findest du hier. Joseph Murrays Vortrag findet am 12.09. von 14:30 – 15:30 Uhr statt.

Sie halten einen Vortrag zum Thema „Geschichte und Bildung“ – können Sie uns einen kurzen Einblick geben, worum es in Ihrem Vortrag gehen wird und welche Aspekte Ihnen besonders wichtig sind?

Hallo! Mein Name ist Joseph Murray und ich bin der Präsident des WFD. Ich freue mich, in diesem Interview von meiner Rolle beim Bildungskongress zu erzählen.

Ich wurde eingeladen, beim Bildungskongress einen Vortrag zur Geschichte der Gehörlosenbildung zu halten.

Dabei möchte ich nicht auf die einzelnen historischen Ereignisse über die Jahre hinweg eingehen, sondern eine Metaebene einnehmen und betrachten, welche Philosophie hinter Ereignissen steht, die innerhalb der Gehörlosengeschichte besonders wiederkehrend waren. Dabei möchte ich den Bogen von damals bis heute spannen und zeigen, dass die Geschichte und die heutige Bildungssituation eng verwoben sind.

In diesem Kontext zeichnet sich ab, dass die Frage danach, wie eine umfassende Inklusion gehörloser Menschen in die Gesellschaft gelingen kann, sehr zentral war. Dieses Thema wurde über Jahre hinweg immer wieder beleuchtet und diskutiert. Hierbei wird deutlich, dass viele verschiedene Perspektiven aufeinandertreffen. Lehrer:innen, die gehörlose Personen unterrichten, gehörlose Personen selbst, Regierungen, unterschiedliche Aktuer:innen oder auch Disability Movement. Dabei wird jedoch ein einziger Begriff geformt, nämlich Inklusion. So wird beim Wort Inklusion bei genauerem Hinsehen deutlich, dass hier viele verschiedene Perspektiven und Meinungen vorherrschen und aufeinandertreffen. Wir als gehörlose Personen haben stets einen klaren Weg verfolgt, denn wir wissen, die Lösung ist einfach: es braucht Gebärdensprache. Gebärdensprache ist die Lösung! Diese ganzen geschichtlichen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind zu lösen, damit wir unserem Ziel näherkommen. In meinem Vortrag werde ich darauf eingehen, wie sich dieser Weg gestaltet hat, was wir daraus lernen, wie es besser laufen kann und wofür wir uns noch einsetzen müssen.

In Ihrer Familie werden die Amerikanische Gebärdensprache, die Norwegische Gebärdensprache und die Deutschschweizerische Gebärdensprache verwendet – Sie sind also mit mehreren Gehörlosenkulturen und Bildungssystemen vertraut. Welche wesentlichen Unterschiede oder Gemeinsamkeiten sehen Sie in der Bildungslandschaft für Gehörlose in diesen drei Ländern?

In meiner Familie gibt es wirklich viele Sprachen. Ich bin in Amerika mit ASL groß geworden und habe in Norwegen die Norwegische Gebärdensprache gelernt.

Meine Partnerin ist aus der Deutschen Schweiz und dadurch lernten unsere zwei Kinder die dritte Gebärdensprache. Außerdem sind sie CODAs und verwenden zusätzlich drei Lautsprachen. Es ist also ein Mischmasch an Sprachen in unserer Familie vorhanden.

Also zu dieser Frage muss ich klar sagen, dass das natürlich stimmt. In meiner Familie werden mehrere Sprachen verwendet. Meine Muttersprache ist ASL, damit bin ich in den USA in einer gehörlosen Familie aufgewachsen. In Norwegen habe ich dann Norwegische Gebärdensprache dazugelernt. Meine zwei Kinder bekommen dann von ihrer Mutter noch zusätzlich die Deutschschweizer Gebärdensprache mit. Sie wachsen also mit drei Gebärdensprachen auf. Dazu kommen dann noch die entsprechenden Lautsprachen, die meine Kinder als CODA verwenden. Bei uns wird also eine Mischung aus vielen verschiedenen Sprachen verwendet. Ich persönlich finde es sehr interessant und nehme wahr, dass meine Kinder diese Sprachen aufsaugen wie ein Schwamm. Je mehr Spracheindrücke sie aufsaugen, desto fließender und natürlicher werden ihre Äußerungen. Sprachvielfalt und unterschiedliche sprachliche Eindrücken führen zu sprachlichem Reichtum und einem Repertoire an Ausdrücken, das sie ganz selbstverständlich und problemlos einsetzen können. Sie können aus sechs verschiedenen Sprachen auswählen und sind dabei ganz flexibel und spielerisch in ihrer Sprachverwendung. Dazu kommt noch das kulturelle Bewusstsein für all diese einzelnen Sprachgruppen. Man sieht klar, dass diese Vielzahl an Eindrücken und Möglichkeiten dazu führt, dass sie sich ganz leicht und selbstverständlich Sprache aneignen. So haben Kinder keinerlei Probleme, Sprache zu erlernen. Die Probleme werden dabei von außen projiziert oder verursacht, wenn versucht wird, eine dieser Gebärdensprachen wegzunehmen. Sprachentzug ist das Problem. Wir sehen, das Potenzial, dass Kinder Gebärdensprachen aufsaugen wie ein Schwamm. Dabei ist es schlichtweg notwendig, diese Sprachen auch anzubieten und somit Chancen und Möglichkeit zu geben und nicht zu entziehen.

Wenn Sie sich ein ideales Bildungssystem für gehörlose Kinder vorstellen könnten – wie würde es aussehen?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, was das eine richtige Bildungssystem für gehörlose Kinder ist. Es ist wichtig, dass gehörlose Kinder vollständigen Zugang zu einer nationalen Sprache haben, sei es die nationale Laut- Gebärden oder Schriftsprache. Zudem sollen sie die Möglichkeit haben mit anderen gehörlosen Kindern in Kontakt zu kommen und so voneinander zu lernen. Gebärdensprache darf nie losgelöst von Kultur vermittelt werden. Gehörlose Kinder brauchen Peers und Identifikationsmöglichkeiten, um ungehindert aufwachsen zu können.

Dabei ist es allerdings auch sehr wichtig gehörlose Erwachsene miteinzubeziehen. Gehörlose Kinder brauchen gehörlose Erwachsene als Vorbilder, bei denen Sie unterschiedliche Arten zu gebärden beobachten und imitieren können.

Im Lehrplan sollten Lehrinhalte über die Gehörlosengemeinschaft berücksichtigt werden, etwa die Geschichte, Kultur und das Leben gehörloser Menschen.

In meiner idealen Vorstellung wird es gehörlosen Kindern ermöglicht sich zu entfalten und jeden Lebensweg auszuwählen, den sie wollen. Und das Fundament für diese Freiheit stellt die Gebärdensprache dar.

Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdenSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden:

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