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Interview: Alexandre Bloxs von der EUD

 

Am 10.12. veranstalten der Österreichische Gehörlosenbund (ÖGLB) und das Österreichische Institut für Menschenrechte eine Tagung zum Thema „Gebärdensprache – Das Recht auf die eigene Sprache und seine Auswirkungen“. Im Mittelpunkt stehen die rechtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte der Gebärdensprache als unverzichtbares Menschenrecht.

Einer der Hauptreferenten der Veranstaltung ist Alexandre Bloxs, der als Vertreter der Europäischen Union der Gehörlosen (EUD) auftritt. Alexandre Bloxs ist ein renommierter Experte für die Rechte gehörloser Menschen und ein engagierter Verfechter der Anerkennung von Gebärdensprachen als vollwertige Sprachen. Durch seine politische Tätigkeit bei der EUD bringt er langjährige Erfahrung in der politischen und juristischen Arbeit zur Förderung der Rechte von Gehörlosen mit.

Im Rahmen der Tagung haben wir Alexandre Bloxs interviewt. Wir möchten mit ihm über die Herausforderungen und Perspektiven der sprachlichen und sozialen Inklusion gehörloser Menschen in Europa sprechen und einen Einblick in die Arbeit der EUD gewinnen.

GebärdenSache: Herr Bloxs, Sie sind Vortragender bei unserer Veranstaltung über Menschenrechte und Gebärdensprache. Wie können die Menschenrechte von gehörlosen Personen in Bezug auf sprachliche Nichtdiskriminierung gestärkt werden?  

Alexandre Bloxs: Der wichtigste Schritt ist die Anerkennung der nationalen Gebärdensprache als eigenständige Sprache durch die Regierung und die gesetzliche Sicherung der Rechte ihrer Nutzer:innen. Anti-Diskriminierungsgesetze müssen spezifisch den Schutz der Gebärdensprachgemeinschaft vor Diskriminierung gewährleisten. Internationale Regelwerke wie die UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 5) und die EU-Charta der Grundrechte (Artikel 21) schreiben vor, dass gehörlose Menschen vor Diskriminierung geschützt sind, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung ihrer nationalen Gebärdensprache.

Ein zentrales Problem bei der Umsetzung solcher Gesetze ist das mangelnde Verständnis nationaler Behörden, dass Gebärdensprachen unter den Begriff der sprachlichen Diskriminierung fallen. Oftmals fehlt in den nationalen Gesetzgebungen die Einordnung von Gebärdensprachen in den Rahmen der sprachlichen Diskriminierung. Gleichzeitig wird die Perspektive gehörloser Menschen als sprachliche Minderheit häufig zugunsten der Wahrnehmung als „Personen mit Behinderung“ vernachlässigt.

Ein weiteres bedeutendes Hindernis ist die Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung. Dieses Recht ist in Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention verankert und kann nur durch bilingualen Unterricht in der nationalen Gebärdensprache und der nationalen Schriftsprache verwirklicht werden. Es ist entscheidend, dass Lehrkräfte die nationale Gebärdensprache auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Der Bildungsplan muss darauf abzielen, das Lernpotenzial gehörloser Schüler:innen zu maximieren. Gleichzeitig sollten gehörlose Kinder und Jugendliche von gebärdensprachkompetenten Gleichaltrigen und gehörlosen Vorbildern umgeben sein.

Abschließend ist es essenziell, dass politische Maßnahmen und Regelungen in Zusammenarbeit mit gehörlosen Menschen und ihren Vertretungsorganisationen entwickelt werden. Dies fördert das Mitspracherecht der Gemeinschaft und zeigt, dass gehörlose Menschen als aktive Mitglieder ihrer Gesellschaft anerkannt werden.

GebärdenSache: In welchen Ländern der EU ist das Recht auf Gebärdensprache bereits gut umgesetzt, und welche Vorbilder könnten für andere Länder wegweisend sein?

Alexandre Bloxs: Die Umsetzung der Rechte auf Gebärdensprache ist innerhalb der EU unterschiedlich. Einige Länder haben jedoch Maßnahmen ergriffen, die als Vorbilder dienen können.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist Schottland mit dem Nationalen Plan für die britische Gebärdensprache (BSL) 2023–2029. Diese Strategie zielt darauf ab, die britische Gebärdensprache in zentralen Lebensbereichen wie Bildung, Gesundheit und Barrierefreiheit zu verankern. Das Engagement Schottlands zeigt, wie strategische Planung die Integration der Gebärdensprache fördern kann.

Finnland hebt sich durch seinen vorbildlichen Zugang zu Dolmetschdiensten hervor. Die finnische Regierung garantiert, dass gehörlose Menschen in verschiedenen Bereichen wie Gesundheitswesen und Justiz Zugang zu kostenlosen Dolmetschleistungen haben. Diese Leistungen werden über die Sozialversicherungsanstalt Kela organisiert und bieten den Menschen eine zentrale Unterstützung im Alltag.

In Litauen wurde der Zugang zu Notfalldiensten für Gebärdensprach-Nutzer:innen deutlich verbessert. Der 24/7-Notrufservice in litauischer Gebärdensprache sorgt dafür, dass gehörlose Menschen in Krisensituationen uneingeschränkt Unterstützung erhalten.

GebärdenSache: Könnten Sie uns einen Überblick über die Arbeit der European Union of the Deaf (EUD) geben? Welche Hauptziele verfolgt die EUD?

Alexandre Bloxs: Die Europäische Union der Gehörlosen ist die einzige supranationale Organisation, die die Interessen aller gehörlosen Menschen vor den Institutionen der Europäischen Union vertritt. Sie arbeitet mit einem Netzwerk von 31 nationalen Gehörlosenverbänden zusammen, um die Rechte und die Teilhabe der Gemeinschaft zu fördern.

Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der EUD ist die Unterstützung der nationalen Verbände durch Expertise, Kapazitätsaufbau und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Gleichzeitig fungiert die EUD als verlässlicher Partner für EU-Institutionen und gibt Empfehlungen zu den Rechten gehörloser Menschen sowie zur Förderung nationaler Gebärdensprachen.

Ein wichtiges Projekt der EUD ist die Möglichkeit, Petitionen in nationalen Gebärdensprachen beim Europäischen Parlament einzureichen. Diese Initiative zielt darauf ab, die Anerkennung von 29 nationalen Gebärdensprachen als offizielle EU-Sprachen voranzutreiben. Darüber hinaus setzt sich die EUD für die Einführung eines Europäischen Tages der Gebärdensprachen am 17. Juni ein, um an die erste Resolution des Europäischen Parlaments zur Anerkennung der Gebärdensprache im Jahr 1988 zu erinnern.

GebärdenSache: Was sind derzeit die größten Herausforderungen und Prioritäten für die EUD, um die Rechte gehörloser Menschen in Europa zu schützen und zu fördern?

Alexandre Bloxs: Die größte Herausforderung der EUD besteht darin, die 29 nationalen Gebärdensprachen der EU als offizielle EU-Sprachen anerkennen zu lassen. Obwohl alle 27 Mitgliedstaaten ihre Gebärdensprachen auf nationaler Ebene anerkannt haben, ist dies auf EU-Ebene noch nicht geschehen. Dies schränkt die Möglichkeiten gehörloser Menschen ein, sich an der Demokratie zu beteiligen, Informationen zu erhalten und mit EU-Institutionen zu interagieren.

Die fehlende offizielle Anerkennung verstößt sowohl gegen die UN-Behindertenrechtskonvention als auch gegen die EU-Grundrechtecharta. Die EUD setzt sich intensiv dafür ein, Gebärdensprachen mit gesprochenen Sprachen gleichzustellen, um eine vollständige sprachliche Gleichheit zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, sind jedoch erhebliche rechtliche, politische und finanzielle Anstrengungen erforderlich.

Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdeSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden:

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