Bald heißt es, Abschied zu nehmen: Am 17. Jänner 2025 wird Dr. Johannes Fellinger die Leitung des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie an der Gehörlosenambulanz in Linz an Dr. Johannes Hofer übergeben. Für den Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB) ist dieser Moment besonders bedeutsam, denn Dr. Fellinger hat mit der Gründung der ersten Gehörlosenambulanz Österreichs im Jahr 1991 herausragende Pionierarbeit geleistet. Bis dahin war es gehörlosen Menschen nahezu unmöglich, eine medizinische Betreuung in Gebärdensprache zu erhalten.
In seiner Laufbahn als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie hat sich Dr. Fellinger stets für die Gesundheit und medizinische Versorgung von gehörlosen Menschen eingesetzt. Er hat damit entscheidende Fortschritte in den Bereichen Barrierefreiheit, Inklusion und Sensibilisierung erreicht. In unserem Gespräch blickt Dr. Fellinger auf seinen bemerkenswerten Werdegang zurück – von der Gründung der ersten Gehörlosenambulanz bis heute.
GebärdenSache: Dr. Fellinger, könnten Sie uns etwas über Ihren beruflichen Werdegang und Ihre Motivation erzählen, sich für Menschen mit Hörbehinderungen einzusetzen?
Dr. Johannes Fellinger: Mein Vater war taub und freischaffender Künstler. Ich bin sehr eng mit ihm aufgewachsen und hatte bis zu seinem Tod eine tiefe Bindung zu ihm. Zuhause kommunizierten wir durch Lippenlesen, Fingeralphabet und Gebärdensprache. Meine Mutter hat viel zwischen mir und meinem Vater gedolmetscht, und das war für mich ganz normal. Heute erkenne ich, dass wir eigentlich keine richtigen Gespräche führten. Wir tauschten uns oft über seine Kunstwerke aus, aber während ich ihn immer verstand, konnte er mich nur selten wirklich verstehen. Das hat mein Aufwachsen stark geprägt. Obwohl ich mich sowohl für Medizin als auch für Kunst interessierte, entschied ich mich für eine medizinische Laufbahn. Es war für mich selbstverständlich, mich beruflich für Menschen mit Hörbehinderungen einzusetzen, da sie immer Teil meines Lebens waren. Ein Schlüsselerlebnis während meiner Psychiatrieausbildung war, als ich beobachtete, wie eine gehörlose Frau sehr schlecht behandelt wurde. Das gab den Anstoß für die Gründung der Gehörlosenambulanz bei den Barmherzigen Brüdern in Linz am 1. Februar 1991. Der Vorstand reagierte zunächst überrascht, zeigte sich aber offen für die Idee – es war schließlich etwas völlig Neues. So konnten wir die Ambulanz aufbauen, jedoch mit der Auflage, dass die Ambulanz nicht kosten dürfe.
GebärdenSache: Wie hat sich die Gehörlosenambulanz daraufhin entwickelt?
Dr. Fellinger: Anfangs dachte ich, dass die Ambulanz nur etwa eine Stunde pro Woche beanspruchen würde, doch schnell stellte sich heraus, dass der Bedarf viel größer war. Menschen aus ganz Österreich kamen, weil sie hörten, dass es einen Arzt gab, der Gebärdensprache beherrschte – was damals im Krankenhaus sehr unüblich war. Neben medizinischen Problemen traten auch viele soziale Themen auf, wie Schwierigkeiten mit der Wohnungssituation. Es wurde klar, dass die Ambulanz nur funktioniert, wenn sie interdisziplinär arbeitet und nicht nur medizinische, sondern auch soziale und psychologische Aspekte berücksichtigt. Wir entwickelten ein Konzept, das auf vier Säulen basierte: medizinische Versorgung, soziale Unterstützung, psychologische Betreuung und Kommunikationsförderung. Dank der Finanzierung des Landes Oberösterreich und der Krankenkassen wurde die Ambulanz immer mehr zu dem, was ich mir vorgestellt hatte. Sie ist heute ein fester Bestandteil des sozialen und medizinischen Netzwerks für gehörlose Menschen in Österreich.
GebärdenSache: Sie haben die erste Gehörlosenambulanz in Österreich gegründet, mittlerweile gibt es fünf. Wie hat sich die Versorgung gehörloser Menschen über die Jahre verändert? Welchen Widerstand gab es anfangs?
Dr. Fellinger: Zu Beginn gab es viel Widerstand, sowohl von Kolleg:innen im Krankenhaus als auch in der Landespolitik. Einige meiner Kolleg:innen meinten, gehörlose Patient:innen würden andere Patient:innen vertreiben, und viele waren sich der sprachlichen Barriere, die es in unserer Gesellschaft gibt, gar nicht bewusst. Auch die HNO-Abteilung stellte sich quer, da sie nicht verstand, warum ein Neurologe wie ich eine Gehörlosenambulanz gründete. Doch die Gehörlosen suchten unser Angebot vermehrt auf, und nach und nach konnten wir die Vorurteile abbauen. Durch den engen Austausch mit Entscheidungsträger, wie etwa Landesbeamten, die wir in die Ambulanz einluden, konnten wir schließlich auch die nötige Finanzierung sicherstellen. Auch die Vorurteile wurden über die Jahre weniger. Die Folge dieses ersten Durchbruchs war, dass die Gehörlosencommunity österreichweit Gehörlosenambulanzen gefordert hat. Dank den Forderungen der Gehörlosencommunity gibt es mittlerweile fünf davon.
GebärdenSache: Wie war es, das passende Personal für die Gehörlosenambulanzen zu finden?
Dr. Fellinger: Das Thema Personal ist immer eine Herausforderung. Unser Anspruch ist es, dass das Fachpersonal – Ärzt:innen, Sozialarbeiter:innen und andere – möglichst gebärdensprachkompetent ist. Wir haben auch gehörlose Mitarbeiter:innen, deren Muttersprache die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist, was für das ganze Team von großer Bedeutung ist. Unsere oberste Priorität ist es, die Bedürfnisse der gehörlosen Patient:innen in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei arbeiten wir eng mit anderen Abteilungen zusammen, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Wichtig ist uns, dass auch Personal, das nicht perfekt gebärdet, sich bemühen, die Patient:innen bestmöglich zu verstehen. Diese persönliche Beziehung auf Augenhöhe zwischen Fachpersonal und Patient:innen ist zentral.
GebärdenSache: Die Gehörlosenambulanz ist Teil des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder. Wie sieht der Austausch zwischen der hörenden und der gehörlosen Community aus? Werden hörende Mitarbeiter:innen speziell sensibilisiert?
Dr. Fellinger: Ja, es gibt Gebärdensprachkurse, und wir sensibilisieren unser Umfeld kontinuierlich. Nicht alle im Krankenhaus können Gebärdensprache, aber es herrscht eine große Offenheit, und Gebärdensprache ist kein Fremdthema mehr.
GebärdenSache: Was würden Sie sich wünschen, um die medizinische Versorgung gehörloser Menschen weiter zu verbessern?
Dr. Fellinger: Es braucht Lösungen für ländliche Gebiete, in denen es zu wenige gehörlose Menschen gibt, um eine eigene Ambulanz zu rechtfertigen. Ich stelle mir Anlaufstellen vor, in denen medizinisch geschultes Personal erste Koordinationsarbeit leisten kann. In größeren Städten sind multiprofessionelle Ambulanzen notwendig. Vor allem in Tirol gibt es Nachholbedarf. Wichtig ist auch, dass wir über die Ambulanzen hinausgehen und die Menschen in ihrem häuslichen Umfeld betreuen, insbesondere ältere gehörlose Menschen.
GebärdenSache: Sie gehen bald in Pension. Was hat Sie in Ihrer Arbeit am meisten bewegt?
Dr. Fellinger: Ich habe eine tiefe Verbundenheit zur gehörlosen Community, die mit meinem Vater begonnen hat. Die Gehörlosigkeit ist ein Teil meines Aufwachsens und Lebens, und diese Verbindung bedeutet mir sehr viel. Außerdem wurde die Eröffnung der Ambulanz in 1993 damals von einem Bischof als „Werk der Liebe Jesu“ bezeichnet. Das hat mich tief berührt und motiviert mich bis heute. Trotz vieler Rückschläge schöpfe ich aus dieser Quelle der Liebe, die unerschöpflich ist. Wir haben in der Ambulanz viel erreicht, und das treibt mich an.
Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdeSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden: