Susanna Lazarus ist die erste gehörlose Lehrerin Österreichs und unterrichtet seit 1985 die Klassen für hörbeeinträchtigte Schüler:innen der HLMW9 in Wien. Ihre Laufbahn ist beachtlich: Sie konnte sich gegen viele Kritiker durchsetzen und hat dabei bewiesen, dass es keinen Grund gibt, wieso gehörlose Menschen keine Lehrer:innen sein sollten. Mittlerweile hat sie viele junge gehörlose Menschen auf ihrem Bildungsweg begleitet und ist ein großes Vorbild in der Community. Wir haben Frau Lazarus zum Thema Bildung und Inklusion interviewt und wollten von ihr wissen, welche Veränderungen es im österreichischen Bildungswesen braucht für gehörlose und schwerhörige Schüler:innen.
Das Interview hat schriftlich stattgefunden und wurde von uns in ÖGS übersetzt.
Sie sind seit 1985 als erste gehörlose Lehrerin Österreichs an der HLMW9 tätig. Welche Herausforderungen gab es auf Ihrem Weg dorthin?
Nun, es war zu jener Zeit gar nicht so einfach, ein Lehramtsstudium als Gehörlose zu beginnen. Ich selbst war auch nicht so sicher, ob ich alle Hürden bewältigen könnte. Dazu gebracht hat mich mein ehemaliger Leiter an der Fachschule für Mode und Bekleidungstechnik für Hörbeeinträchtigte der HLMW9, Prof. Pafla. Er hat mich ermutigt, diesen Schritt zu gehen und an der Berufspädagogischen Akademie zu immatrikulieren. In Erinnerung ist mir da noch der erste Studientag. Da wurde ich in das Büro des Rektors gerufen und musste Fragen beantworten wie: „Sie sind taub. Glauben Sie, dass eine berufsbildende Schule Sie einstellen wird?“ Damals waren viele Leute skeptisch, ob das Novum gehörlose Lehrerin für hörbeeinträchtigte Schüler*innen überhaupt gelingt. Andere wiederum waren überzeugt, dass ich es schaffe, und haben mich ermutigt. Natürlich war es auch schwierig, die Professor*innen bei ihren Vorträgen zu verstehen. ÖGS- oder Schriftdolmetschung hat es damals und auch noch längere Zeit später nicht gegeben. Ich habe mir viel im Selbststudium beibringen müssen.
Wie haben sich Ihrer Meinung nach die Bildungsangebote für gehörlose und schwerhörige Menschen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Da hat sich im Vergleich zu meiner Zeit viel getan. Heute haben hörbeeinträchtigte Jugendliche und Erwachsene viel mehr Chancen sich weiterzubilden. Ermöglicht wurde dies auch durch den Einsatz von ÖGS im Unterricht. Das war, als ich zu unterrichten begonnen habe, oft gar nicht so gerne gesehen. Auch die Unterstützung im Unterricht von zuerst ÖGSDolmetscher*innen und jetzt auch Schriftdolmetscher*innen hat vieles verbessert. Und natürlich ist auch die Ausbildung von Lehrpersonen für Hörbeeinträchtigte viel effizienter geworden. Jetzt sind hörbeeinträchtigte Studierende an den Unis ja schon fast eine Selbstverständlichkeit. Sehr gut finde ich auch, dass es in immer mehr Museen und anderen kulturellen Einrichtungen Führungen etc. mit ÖGS-Dolmetscher*innen Unterstützung angeboten wird. Demnächst bin ich mit den Schulklassen in der Albertina und nach meiner Anfrage wurde prompt seitens des Museums für eine ÖGS-Dolmetschung gesorgt.
In den kommenden Jahren soll der ÖGS-Lehrplan für die AHS in Kraft treten. Wie sehen Sie die Zukunft der Bildung für gehörlose und schwerhörige Schüler*innen in Österreich?
Natürlich gibt es noch immer viele Verbesserungsmöglichkeiten. Das österreichische Schulsystem macht gerade sehr herausfordernde Zeiten durch. Viel Anstrengung wird unternommen, Schüler*innen mit nichtdeutscher Muttersprache in den Schulbetrieb zu integrieren. Für mich ist klar, dass, um in der Schule gut mitzukommen, sich die Schüler*innen gut ausdrücken können müssen. Das trifft auch auf Gehörlose und Schwerhörige zu. Und da sind wir wieder beim Thema Muttersprache. Ich bin überzeugt, dass Schüler*innen, die ihre Muttersprache sehr gut beherrschen – bei Gehörlosen wäre das z. B. ÖGS – sich dann auch im Wissenserwerb leichter tun. Wir haben z. B. in der HLMW9 jetzt eine Klasse mit bilingual erzogenen Schüler*innen. Da ist es wirklich eine Freude zu erleben, wie schnell die Auffassungsgabe und wie gut die Mitarbeit der Schüler*innen ist.
Welche Veränderungen in der Bildungslandschaft wünschen Sie sich für die Zukunft, insbesondere im Bereich der Inklusion gehörlosen und schwerhörigen Schüler:innen?
Bei der Inklusion gibt es meiner Ansicht nach noch sehr viel Verbesserungspotential. Wenn ich mich so um“höre“ versteht eigentlich unter Inklusion jeder etwas anderes. Selbst unterrichte ich eigentlich nur in Kleinklassen mit gehörlosen, schwerhörigen und CODA-Jugendlichen, daher fehlt mir etwas der Vergleich zu Inklusionsklassen. Natürlich hängt es auch viel von der Klassendynamik, dem Einsatz der einzelnen Lehrperson und der schulischen Organisation ab, dass inklusiver Unterricht gelingt. Nicht zuletzt ist auch der finanzielle Aspekt nicht zu vergessen. Schulen, die ständig aufs Budget schauen müssen, tun sich da schwer. Aber da bin ich zuversichtlich, dass es auch in diesem Bereich weitergehen wird.
Sie gehen bald in Pension. Gibt es ein besonderes Erfolgserlebnis oder eine Anekdote aus Ihrer Lehrtätigkeit, die Sie mit uns teilen möchten?
Eingangs habe ich ja erwähnt, dass zu Beginn meiner Lehrtätigkeit die österreichische Gebärdensprache von der Direktion abwärts zwar toleriert, aber dennoch nicht so gerne gesehen wurde. Letzten September habe ich das Amt als Fachkoordinatorin für den Hörbeeinträchtigten-Unterricht an der HLMW9 übernommen. Als bei der Eröffnungskonferenz am Beginn des Schuljahres dies dem Kollegium mitgeteilt wurde, hat sich ein ganzes Meer von Händen erhoben, mit dem mir die Kolleg*innen in ÖGS zu meiner neuen Position gratuliert haben. Dass so spontan und von allen ÖGS verwendet wurde, war für mich schon sehr bewegend und hat mir viel Hoffnung für die Zukunft gemacht.
Dieser Artikel ist im Rahmen des GebärdeSache-Newsletters entstanden. Hier kannst du dich für unseren monatlichen Newsletter anmelden: